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Fahrscheinloser Öffentlicher PersonenNahVerkehr (FÖPNV) in Frankfurt am Main! (PE)

Nulltarif statt alle Jahre wieder Fahrpreiserhöhungen DIE LINKE.
  • Fahrscheinloser Öffentlicher PersonenNahVerkehr (FÖPNV) in Frankfurt am Main! (PE)
  • Dienstag, 09. Januar 2018
  • 18:00 Uhr (UTC+1)
  • Clubraum 1, Saalbau Titusforum im Nordwestzentrum; Walter-Möller-Platz 2, 60439 Frankfurt am Main.

Inhaltsverzeichnis

  1. "Nulltarif" im Frankfurter ÖPNV
  2. Benutzerunabhängige Finanzierung - Was ist das?
  3. Abschätzung der Verluste bei Fahrgeldeinnahmen
  4. Kosten aus der notwendigen Verbesserung des ÖPNV-Angebotes
  5. Finanzierbarkeit
  6. Umsetzungsszenario
  7. Zusammenfassung
  8. Ausblick

1. "Nulltarif" im Frankfurter ÖPNV
Die Stadt Frankfurt am Main entwickelt derzeit eine Mobilitätsstrategie. Um den steigenden Ausgaben im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und stagnierenden Zuschüssen aus Bund und Land zu begegnen, kommt es laut des letzten Statusberichts vom Juli 2015 darauf an, "zukünftige
Entwicklungen nicht nur abzuwarten, sondern bereits jetzt aktiv auf die Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten und -instrumenten zu gehen" (1).
DIE LINKE. im Römer hat dazu einen Vorschlag: Wir wollen, dass alle Menschen die Busse und Bahnen Frankfurts voraussetzungslos nutzen können - ohne Fahrschein oder sonstige Zugangsberechtigung. Wir nennen das "Nulltarif" und meinen damit die nutzerunabhängige Finanzierung des ÖPNV. Denn anders als es der Begriff vielleicht vermuten lässt, ist der "Nulltarif" nicht umsonst zu haben. Seine Finanzierung allerdings ließe sich wesentlich gerechter gestalten, indem alle einbezogen werden, die vom ÖPNV profitieren.
Wozu das Ganze? Weil eine Verkehrswende dringend nötig ist. In den zurückliegenden Jahren hat sich der Streckenanteil, der in Frankfurt mit dem Auto zurückgelegt wird, deutlich erhöht. Auch wenn der Fuß- und Radverkehr stetig zunimmt, führen steigende Einwohnerzahlen und vor allem die beträchtlich höhere durchschnittliche Länge der mit dem Auto zurückgelegten Wege zu hohen Anteilen des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) am auf die Personenkilometer bezogenen Modal Split Frankfurts. Folgewirkungen sind steigende Lärm-, Luftschadstoff- und CO2-Emissionen sowie Unfallzahlen. Zudem verursacht die starke Inanspruchnahme des Frankfurter Straßennetzes horrende Kosten (2).
Aus unserer Sicht müssen die Weichen deshalb neu gestellt werden, weg vom MIV mit seinen vielen negativen Folgen für Mensch und Umwelt in Richtung ÖPNV. Dieser hat gegenüber dem Autoverkehr den entscheidenden Vorteil, dass er bezogen auf die zurückgelegte Strecke jedes Fahrgasts sehr viel weniger Energie und Fläche verbraucht, sowie deutlich geringere Gesamtschäden verursacht. Zudem hat er das Potential, allen Menschen inklusive Minderjährigen, Alten und Behinderten einen Zugang zu Mobilität zu ermöglichen. Anders als der MIV erfordert er keine privaten Investitionen und könnte damit für alle erschwinglich sein. Leider erfüllt er diese Grundversorgung mit Mobilität für alle bislang nur unzureichend. Die Preise sind für viele Menschen viel zu hoch und steigen zudem Jahr für Jahr.
Auf alle diese Herausforderungen ist der "Nulltarif" die richtige Antwort. Unser Anliegen dabei ist es, den motorisierten Verkehr zu vermeiden, auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlagern und den Zugang zu Mobilität ohne finanzielle oder andere Barrieren zu gestalten. So wollen wir Frankfurt zugleich ökologischer und sozialer machen. Wie das gelingen kann und welche Finanzierungsinstrumente dabei zur Anwendung kommen sollten, wollen wir von der Stadt Frankfurt in einer Machbarkeitsstudie prüfen lassen. Unsere Ideen dazu haben wir im Folgenden festgehalten. (Inhaltsverzeichnis)

2. Nutzerunabhängige Finanzierung - Was ist das?
Eine nutzerunabhängige Finanzierung des ÖPNV in Frankfurt ist nichts Neues. Schon heute wird er zu einem großen Anteil von den Kundinnen und Kunden der Mainova quersubventioniert, ganz egal, ob sie diesen nutzen oder nicht. Der Jahresfehlbetrag der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF), der regelmäßig durch die Stadtwerke Frankfurt am Main Holding, also durch die Gewinne der Mainova, ausgeglichen wird, belief sich zuletzt auf 53,80 Mio. Euro (4). Zusätzlich bezuschusst die Stadt seine lokale Nahverkehrsgesellschaft "traffiQ" mit weiteren 30,10 Mio. Euro (5). Insgesamt entspricht das nahezu einem Drittel der Gesamtaufwendungen für den ÖPNV von insgesamt 308,39 Mio. Euro (6). Ähnlich wie bei den Kundinnen und Kunden der Mainova verhält es sich mit den Studierenden Frankfurts. Das Semesterticket ist bis auf wenige Ausnahmen eine verpflichtende Zeitkarte - egal, ob der ÖPNV genutzt wird oder nicht. Und auch andere Nutzergruppen werden in Frankfurt heute schon an den Kosten des ÖPNV beteiligt. So bieten Messe-, Sport- und Musikveranstalter beispielsweise Kombitickets inklusive An- und Abreise an, und Arbeitgeber bezuschussen die Jobtickets ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Neben den Fahrgeld und sonstigen Einnahmen der VGF decken also Zuschüsse der Stadt und auch Zuschüsse aus Bund und Land den Rest der Kosten. Das gesamte Finanzierungskonstrukt ist derart komplex, dass kaum jemand den Überblick hat. Gänzlich aus dem Blick gerät dabei, wohin sich der Frankfurter Nahverkehr überhaupt entwickeln soll. Für uns ist daher klar, dass es einer neuen, soliden und transparenten Finanzierungsgrundlage bedarf. Wir wissen dabei um die geringen kommunalen Handlungsspielräume. Unserem Konzept liegt daher eine kostenneutrale Umsetzung des "Nulltarif" zu Grunde. Er soll sich unter der Annahme, dass die aktuellen Zuschüsse, jährlich angepasst, erhalten bleiben und gespeist aus weiteren Finanzierungsquellen selbst tragen, ohne dass die Stadt gesonderte Zuschüsse aus dem Haushalt leisten muss. In Konsequenz dessen sind aus unserer Sicht zusätzliche Finanzierungsquellen notwendig. Herangezogen werden sollen nicht nur die tatsächlichen Fahrgäste. Auch die potentiellen Nutzerinnen und Nutzer und die indirekten Nutznießerinnen und Nutznießer sollen an den Kosten des Frankfurter ÖPNVs beteiligt werden.
Ist das gerecht? Ja, das ist es, denn ein zusätzlicher Nutzen lässt sich für alle Frankfurterinnen und Frankfurter begründen. Egal, ob es die Anwohnerinnen und Anwohner sind, die aufgrund des ÖPNV weniger Lärm und Abgase ertragen müssen, ob es die Autofahrerinnen und Autofahrer sind, deren Straßen noch verstopfter wären, wenn es keinen ÖPNV gäbe, oder, ob es Handel, Dienstleister und Veranstalter sind, die ein großes Interesse daran haben, von ihrer Kundschaft bequem und günstig erreicht zu werden, alle würden profitieren. Auch können durch eine gute ÖPNV-Anbindung teure Stellplätze eingespart werden. Das gilt auch für Arbeitgeber, die bei einem guten ÖPNV sogar bei Dienstfahrzeugen und Reisekosten sparen. Worauf es letztlich ankommen wird, ist eine faire Verteilung der zusätzlichen finanziellen Belastungen. Aus unserer Sicht sind in der Auswahl geeigneter Finanzierungsinstrumente daher bestimmte Kriterien anzulegen. Ein verpflichtender Beitrag zum Beispiel kann nicht für alle gleich erhoben werden. Dies muss sozial ausgewogen erfolgen und ähnlich wie beim Semesterticket muss es für bestimmte Gruppen Ausnahmen geben. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden, die Belastung verschiedener Gruppen muss also in Relation zu deren Nutzen stehen. Außerdem muss der Verwaltungsaufwand begrenzt sein, damit die Einnahmen tatsächlich auch zu Buche schlagen und nicht einfach verpuffen.
Bevor wir zu den Finanzierungsvorschlägen für einen "Nulltarif" in Frankfurt am Main kommen, muss zunächst geklärt werden, mit welcher finanziellen Mehrbelastung zu rechnen ist und wer überhaupt tangiert ist. Dazu haben wir Frankfurts Verpflichtungen innerhalb des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) in den Blick genommen und eine Folgekostenabschätzung angestellt. (Inhaltsverzeichnis)

3. Abschätzung der Verluste bei Fahrgeldeinnahmen
Ausgegangen wird von einem "Nulltarif" in der RMV-Tarifzone 50, Stadtgebiet Frankfurt am Main. Nur hier kann die Tarifgestaltung von der Stadt Frankfurt selbst bestimmt werden (vergleichbar mit dem Preisaufschlag in den Hauptverkehrszeiten). Für die Kostenabschätzung wird von einem Wegfall der betreffenden Fahrgeldeinnahmen ausgegangen. Wegen der Einnahmeaufteilungsvereinbarungen innerhalb des RMV ist hierbei von einer Pflicht zur kompletten Übernahme der Einnahmeausfälle durch die Stadt Frankfurt am Main als 'Besteller' der Maßnahme auszugehen.
Die jährlichen Fahrgeldeinnahmen beliefen sich zuletzt auf ca. 146 Mio. Euro (7). Die von der VGF außerhalb des Stadtgebiets Frankfurt erwirtschafteten Fahrgeldeinnahmen werden nicht gesondert ausgewiesen und können daher nicht in Abzug gebracht werden. In der Größenordnung sollten sie aber vernachlässigbar sein. Ebenfalls nicht in Anschlag gebracht wird, dass der ÖPNV im Umland durch die niedrigeren Fahrpreise von und nach Frankfurt attraktiver wird und sich durch zusätzliche Fahrgäste die Einnahmen im gesamten Verbundgebiet wieder etwas erhöhen, d.h. die Einnahmeverluste aus der Fahrpreissenkung teilweise wieder kompensiert werden. Auch dieser Betrag kann nicht beziffert werden und wird daher außen vor gelassen. Da im Bereich der Tarifzone 50 komplett auf die Fahrausweiskontrolle und das dafür benötigte Personal verzichtet werden kann, sind davon rund 3 Mio. Euro (8) abzuziehen. Die verschiedenen Fahrscheinvertriebswege und der Betrieb bestimmter Fahrscheinautomaten müssen zunächst erhalten bleiben, weil innerhalb des RMV außerhalb der Zone 50 ja noch Fahrpreise erhoben werden. Der heutige Umfang könnte jedoch auf die verkehrlichen Knotenpunkte reduziert werden, von denen aus das Stadtgebiet verlassen werden kann. Auch aus diesem Grund streben wir langfristig die Einführung des "Nulltarif" im gesamten Verbundgebiet an. Immerhin könnten bei einem kompletten Wegfall des Fahrscheinvertriebs jährlich Kosten in Höhe von mehr als 4 Mio. Euro (9) eingespart werden. Für die weitere Betrachtung wird also mit dem um 3 Mio. Euro gekürzten auf 143 Mio. Euro [x] gerundeten Wert gerechnet. (Inhaltsverzeichnis)

4. Kosten aus der notwendigen Verbesserung des ÖPNV-Angebotes
Da die Nachfrage des ÖPNV vor allem in den bereits vorhandenen Spitzenzeiten steigen wird, muss für die Folgekostenabschätzung von einer gleichfalls notwendigen Steigerung des Leistungsangebots ausgegangen werden. Für die weitere Betrachtung wird mit einer realistischen, wenn auch grob geschätzten Steigerung um ein Drittel und damit von einer Zunahme des derzeitigen Betriebsfehlbetrags um ebenfalls ca. 33 Prozent gerechnet. Dies ist betriebswirtschaftlich vor allem wegen der ohne exakte Fahrplan- und Leistungsplanung nicht kalkulierbaren Grenz- und Sprungkostenproblematik in dieser vereinfachenden Form notwendig und geboten. Der hieraus entstehende höhere Fehlbetrag muss im Rahmen der im RMV bestehenden Finanzierungsvereinbarungen als Komplementärfinanzierung ohne zusätzliche Kostenübernahmevereinbarungen mit den anderen Verbundpartnern ebenfalls voll von der Stadt Frankfurt übernommen werden. Für die Zusatzangebote ergeben sich gemäß VGF-Geschäftsbericht (10) folgende zusätzlichen Kostenblöcke:
• Der Materialaufwand 2014 mit 92,34 Mio. Euro steigt neu auf ca. 123,00 Mio. Euro
• Der Personalaufwand 2014 mit 110,65 Mio. Euro steigt auf neu ca.147,50 Mio. Euro
• Die Abschreibungen 2014 mit 42,36 Mio. Euro verbleiben auf neu ca. 42,00 Mio. Euro
• Die sonstigen betrieblichen Aufwendungen 2014 mit 39,22 Mio. Euro steigen auf neu ca. 52,00 Mio. Euro
Insgesamt steigen die Kosten von ca. 284,50 Mio. Euro auf neu ca. 364,50 Mio. Euro. Die Kosten für das neue Fahrplanangebot erhöhen sich gegenüber dem Stand von 2014 damit insgesamt um ca. 80 Mio. Euro [y]. Die Summe der von der Stadt zu tragenden Kosten zum Ausgleich von Einnahmeausfällen (ca. 143 Mio. Euro [x]) und zusätzlichen Betriebsleistungen (ca. 80 Mio. Euro [y]) beträgt somit ca. 223 Mio. Euro pro Jahr. (Inhaltsverzeichnis)

5. Finanzierbarkeit
Das häufigste Argument gegen den nutzerunabhängig finanzierten ÖPNV ist die Sorge, dass dieser aus dem Haushalt bestritten werden muss und man deshalb Einsparungen in anderen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge in Kauf nehme. Das stimmt jedoch nur, wenn sich nicht gleichzeitig Gedanken über die Steigerung kommunaler Erträge zur nutzerunabhängigen Finanzierung des ÖPNV gemacht wird. Im Folgenden wollen wir solche vorstellen und grob überschlägig auch beziffern.
Aber zunächst ist zu unterstreichen, dass durch die Einführung eines nutzerunabhängig finanzierten ÖPNV eine ganze Reihe von Einsparungen entstehen. Wie erwähnt entfällt der Anteil für die Kontrollinfrastruktur eines kostenpflichtigen ÖPNV (Fahrscheinkontrollen, Mahnbetrieb etc.). Einsparungen ergeben sich aber auch durch Verschiebungen im Modal Split und eine geringere Belastung durch den MIV. Dazu gehört zunächst eine ehrliche Bewertung der Kosten, die durch den MIV entstehen und von uns allen getragen werden. Sie reichen über die Finanzierung von teuren Straßenbauprojekten und Instandhaltungen über den Verlust an Lebensqualität durch immer knapper werdende öffentliche Räume bis hin zu gesundheitlichen Belastungen durch Lärm und Feinstaub, und schließlich den schwerwiegenden gesamtgesellschaftlich getragenen Folgen zunehmender CO2-Emissionen. In Frankfurt wird dieses Argument noch durch den hohen Anteil an Pendlerinnen und Pendlern verstärkt.
Mit diesen Einsparungen lassen sich natürlich noch nicht die geschätzten 223 Mio. Euro aufwiegen. Damit der Haushalt nicht zusätzlich belastet wird und auch den Kriterien nach sozialer Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit entsprochen wird, schlagen wir vor, in der von uns schon seit Jahren geforderten Machbarkeitsstudie folgende Finanzierungsideen intensiv zu beleuchten:

  1. Einführung einer Nahverkehrsabgabe als Unternehmenspauschalabgabe, z.B. wie die in Frankreich übliche Transportsteuer taxe versement transport, jedoch gekoppelt an die Wertschöpfung
  2. Einführung eines beitragsfinanzierten Bürgertickets
  3. Einführung einer sozialverträglichen Citymaut nach dem Vorbild von z.B. Stockholm und London
  4. (Wiederkehrender) ÖPNV-Erschließungsbeitrag, bei der die Anbindung an das Streckennetz des ÖPNV Berücksichtigung findet
  5. Einführung einer Nahverkehrsabgabe in Form einer Pauschale (kommunale Aufwandssteuer) pro Bett und Übernachtung für Gäste von Beherbergungsbetrieben gemäß § 7 Abs. 2 Gesetz über kommunale Abgaben (KAG)
  6. Einnahmesteigerungen durch eine veränderte Parkraumbewirtschaftung

(Inhaltsverzeichnis)

6. Umsetzungsszenario

  1. Durch die Einführung einer Unternehmenspauschalabgabe ähnlich wie die taxe versement transport (jedoch mit dem Unterschied, dass nicht die Lohnsumme, sondern die Wertschöpfung als Grundlage dienen sollte), werden die für die Unternehmen bestehenden Vorteile des ÖPNV abgeschöpft. Die taxe versement transport ist eine in Frankreich übliche kommunale Transportsteuer für die Bereitstellung des ÖPNV. Die Pauschale wird dort auf die Bruttolohnmasse angewandt und kann entsprechend der Einwohnerzahl einer Kommune bis zu 2,6 Prozent der Bruttoarbeitsentgelte betragen. Wenn in Frankfurt 1,5 Promille der Bruttowertschöpfung erhoben würden, ergäbe dies bei einer Bruttowertschöpfung von jährlich fast 50 Mrd. Euro (genau: 49,257 Mrd. Euro in 2012) (11) einen Ertrag von 75 Mio. Euro.
  2. Im Gegenzug für eine fahrscheinlose Nutzung des Frankfurter ÖPNV wird von allen Bürgerinnen und Bürgern eine Abgabe erhoben - Bürgerticket. Die Abgabenhöhe muss nicht näher differenziert werden, denn die theoretischen Nutzungsmöglichkeiten sind für alle Bürgerinnen und Bürger gleich. Allerdings gibt es Ermäßigungen oder Befreiungen von der Beitragspflicht für Kinder, Jugendliche, Senioren und bestimmte andere Gruppen - insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen, die den ÖPNV gar nicht nutzen können. Zum Stichtag 30. Juni 2015 waren 716.277 Menschen mit Hauptwohnung in Frankfurt gemeldet. Davon waren 16 Prozent (rund 115.000 Personen) unter 18 Jahren und weitere gut 16 Prozent waren 65 Jahre oder älter (12). Der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter (15 Jahre bis 65 Jahre) lag zum Zeitpunkt der letzten Erhebung am 31. Dezember 2013 bei 493.887 Personen (13). Zum selben Zeitpunkt lebten in Frankfurt am Main 68.558 schwerbehinderte Frauen und Männer (14). Nach Abzug einer zahlenmäßigen Annäherung an den Personenkreis, der nicht oder nur ermäßigt herangezogen werden würde, könnte das Bürgerticket bei einer persönlichen monatlichen Belastung von 14 Euro bei grob überschlagenen 430.000 Menschen pro Jahr rund 73 Mio. Euro einbringen.
  3. Die Einführung einer Citymaut ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Finanzierung des ÖPNV. Stockholm und London haben gezeigt, dass es mit diesem Instrument möglich ist, eine Verkehrsreduktion zu erreichen, die Lebensqualität zu erhöhen und Car-/Bike-Sharing attraktiv zu machen. Die Citymaut wird dabei sozialverträglich gestaltet, damit Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, nicht zu sehr belastet werden. In der Region Frankfurt/Rhein-Main fahren zwischen 40 und 70 Prozent der Erwerbstätigen mit dem Auto zur Arbeit, zwischen 3 und 7 Prozent davon als Mitfahrer (15). Bei insgesamt 336.050 Einpendlern (16) ist also davon auszugehen, dass im Mittel rund 180.000 Personen in rund 170.000 Pkw an etwa 240 Arbeitstagen im Jahr in die Stadt kommen. Belegt man diese mit einer Mautgebühr von 1 Euro, könnten jährlich gut 40 Mio. Euro eingenommen werden.
  4. Um eine Gleichbehandlung von MIV und ÖPNV zu erreichen, wird ein ÖPNV-Erschließungsbeitrag analog zur Finanzierungsregelung bei Straßenerschließungen eingeführt. Erschließungsbeiträge werden von den Eigentümern der Anrainergrundstücke erbracht und sind eine reine Kommunalabgabe. Die Umsetzung einer solchen Abgabe wird derzeit von der Hessischen Landesregierung geprüft. Darüber hinaus wird zur Deckung des Aufwands für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung des ÖPNV von allen Grundstückseigentümern, die eine dauerhafte Möglichkeit der Inanspruchnahme des ÖPNV haben, ein jährlich wiederkehrender Beitrag erhoben. Die Höhe der jeweiligen Abgabe wird je nach Grad der Anbindung an das Streckennetz des ÖPNV abgestuft. Vorsichtig geschätzt könnte eine wiederkehrende Abgabe von durchschnittlich 4,50 Euro pro Wohnung und Monat bei zuletzt 368.989 Wohnungen in Frankfurt (17) jährlich rund 20 Mio. Euro einbringen.
  5. Mit einer Nahverkehrsabgabe in Form einer Pauschale pro Bett und Übernachtung für Gäste von Beherbergungsbetrieben werden die für die Besucherinnen und Besucher der Stadt Frankfurt am Main bestehenden Vorteile eines fahrscheinlosen ÖPNV in Anrechnung gebracht. Dabei werden die in der heutigen Praxis oft anzutreffenden Varianten (u.a. Bettensteuer, Übernachtungssteuer, Kulturförderabgabe, Kultur- und Tourismustaxe oder City Tax), bei denen Gäste für bestimmte Leistungen einer Stadt herangezogen werden, in eine allgemeine Gästeabgabe abgewandelt. In Frankfurt ist das möglich, da die Stadt ein hinreichendes Gästeaufkommen hat. Die anderen Varianten haben den großen Nachteil, dass nur Übernachtungen aus privatem, nicht aber aus beruflichem Anlass besteuert werden können. Zudem können Steuereinnahmen nicht zweckgebunden in den ÖPNV fließen. Auf Grundlage der aktuellsten Gästezahlen von 2014 (7.498.881 Übernachtungen) (18) könnten bei einer Pauschale von 2 Euro pro Bett und Übernachtung so 15 Mio. Euro in die Kasse gespült werden.
  6. Weitere politische Steuerungsinstrumente zugunsten einer stärkeren Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel sind eine veränderte Parkraumbewirtschaftung im Sinne einer deutlichen Vermehrung autobefreiter Kernbereiche (Fußgängerzonen) in den Quartierszentren und einer Ausweitung von verkehrsberuhigten Zonen. Denkbar sind auch Ansätze, bestimmte Verkehrsträger zu privilegieren. Elektrofahrzeuge und Fährräder könnten beispielsweise bevorzugt werden, in dem ihnen Parkplätze an privilegierten Orten eingerichtet werden. In der Innenstadt könnten darüber hinaus die Parkgebühren für alle anderen Fahrzeuge erhöht werden. Eine überschlägige Bezifferung ist hier allerdings nicht möglich.

(Inhaltsverzeichnis)

7. Zusammenfassung
 + 75 Mio. Euro aus Unternehmenspauschalabgabe für den Nahverkehr
 + 73 Mio. Euro aus beitragsfinanziertem Bürgerticket
 + 40 Mio. Euro aus einer sozialverträglichen Citymaut
 + 20 Mio. Euro aus wiederkehrendem ÖPNV-Erschließungsbeitrag
 + 15 Mio. Euro aus Nahverkehrsabgabe in Form einer Übernachtungspauschale
 = ergeben insgesamt 223 Mio. Euro
Diese Zusammenstellung zeigt, dass eine benutzerunabhängige Finanzierung des ÖPNV in Frankfurt möglich ist, ohne einzelne Benutzer- oder Nutznießergruppen zu überfordern. Diese Zahlen stellen nur ein mögliches Modell dar, die Aufteilung auf die unterschiedlichen Finanzierungswege ist natürlich noch weiter zu diskutieren und politisch zu entscheiden. In der von uns seit Jahren geforderten Machbarkeitsstudie ließen sich dazu die tatsächlichen Kosten qualifiziert erheben. Genauso die Möglichkeiten zur Gegenfinanzierung. Was in Frankfurt unter Schwarz-Grün aber fehlt, ist der politische Wille, heute in die Infrastruktur von morgen zu investieren und die dringend benötigte Verkehrswende einzuleiten.
Unsere Überlegungen machen deutlich, dass der "Nulltarif" keine Spielerei ist, sondern eine realistische Option, die viele Menschen bewegt. Das zeigt sich an den breiten Diskussionsprozessen und den vielen praktischen Erfahrungen rund um die Welt. In Deutschland gibt es mittlerweile viele Initiativen, die einen "Nulltarif" für ihre Stadt fordern. Neben Frankfurt zum Beispiel auch Berlin, Bonn, Bremen, Darmstadt, Dresden, Erlangen, Erfurt, Hamburg, Hannover, Jena, Leipzig, Köln, Marburg, München, Osnabrück, Solingen, Trier, Wuppertal und vermutlich noch in einigen weiteren Regionen. Fast unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit wurden auch an vielen anderen Orten der Welt praktische Erfahrungen gemacht. Mit Wurzeln in den 80er Jahren sind Initiativen in einigen Städten traditioneller Industrieländer wie Schweden und Kanada zu sozialen Bewegungen geworden. Mittlerweile gibt es in rund 75 Städten in 24 Ländern Erfahrungen mit unentgeltlichem ÖPNV. In Europa betrifft das mindestens eine Stadt in Belgien, Tschechien, Estland, Finnland, Island, Griechenland, Litauen, Spanien, Italien, Russland, in der Ukraine und Deutschland, zwei Städte in Dänemark, vier in Großbritannien, sechs in Schweden, 13 in Polen und 20 Gemeinden beziehungsweise Zweckverbände in Frankreich. Die Einführung des "Nulltarif" war in einigen Städten ein Erfolg sozialer Bewegungen, anderenorts die versprochene und dann umgesetzte Politik meist linker Parteien oder das Ergebnis der Zweckmäßigkeitserwägungen von Verwaltungen. Vielerorts haben sich Menschen also auf den Weg gemacht. Für Frankfurt wollen wir das auch. (Inhaltsverzeichnis)

8. Ausblick
Eine Verkehrswende kann nur durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen erreicht werden, und mindestens ein Quantensprung bei der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs ist notwendig, um große Anteile der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer für einen Umstieg vom Auto zu den Verkehrsarten des Umweltverbunds (Fuß-, Rad- und Öffentlicher Personennahverkehr) zu gewinnen. Ein "Nulltarif" im ÖPNV, von möglichst allen solidarisch finanziert, die ihn selbst nutzen oder einen Vorteil aus ihm erzielen, kann aber eine Trendumkehr bewirken. Das Problembewusstsein ist mittlerweile weit verbreitet. Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamtes vom August 2014 (19), die am 30. März 2015 vorgestellt wurden, stimmen optimistisch: 82 Prozent der Befragten sind demnach dafür, Städte und Gemeinden gezielt so umzugestalten, dass man kaum noch auf ein Auto angewiesen ist, bei den 14- bis 17-Jährigen liegt dieser Anteil sogar bei 92 Prozent. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist sich also bewusst, dass weniger Verkehr für sie eine höhere Lebensqualität bedeuten würde. Zentraler Grund dafür dürfte der Straßenverkehrslärm sein, von dem sich mehr als die Hälfte der Befragten gestört fühlt. Bei Familien und älteren Menschen spielt die Sorge um die persönliche Unversehrtheit zusätzlich eine große Rolle.
Dies lässt sich nur als klaren Auftrag an die Politik verstehen: Sie muss unter Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger das Lebensumfeld sozial gerechter und ökologischer umgestalten, dabei die Lebensqualität verbessern und Mobilität für alle auch ohne Auto ermöglichen. Dass dies machbar ist, haben wir mit unserem Konzept gezeigt. Der Wille zur Umgestaltung zeigt sich auch in den vielen Initiativen, die für ihre Stadt oder die Region einen "Nulltarif" oder wenigstens ein Sozialticket fordern und an deren Umsetzung arbeiten.
Die in diesem Konzept vorgestellten Möglichkeiten, von verschiedenen Nutznießern des ÖPNV Abgaben zu erheben, können in Hessen - teils nach Anpassung von Ländergesetzen - auf kommunaler Ebene eingeführt werden. Nun kommt es darauf an, in einer Machbarkeitsstudie die passenden Abgaben und ergänzenden Maßnahmen zu identifizieren und sie in einem anschließenden Modellversuch einem Praxistest zu unterziehen. Das muss mit umfassender Bürgerbeteiligung und ausreichender Diskussion geschehen. Am Ende sollte ein Bürgerentscheid stehen. Die Bedeutung solcher Diskussionsprozesse und Pilotphasen wurde bei der Einführung der City-Maut in London sichtbar: So war dort vor der Einführung noch eine Mehrheit dagegen, nach der Testphase aber eine Mehrheit dafür. Bei erfolgreicher Umsetzung des "Nulltarif" in Frankfurt ist damit zu rechnen, dass es eine große Zahl von Nachahmern geben wird. Damit besteht tatsächlich die Chance, zu einem bundesweiten "Nulltarif" zu kommen. Entscheidend ist, dass wir jetzt damit beginnen, unser Lebensumfeld umzugestalten. (Inhaltsverzeichnis)

Frankfurt am Main, Dezember 2015

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 1 Verkehrsdezernat Stadt Frankfurt am Main: Mobilitätsstrategie Statusbericht Juli 2015, S. 14
 2 Verkehrsdezernat Stadt Frankfurt am Main: Mobilitätsstrategie Statusbericht Juli 2015, S. 8
 3 Stadt Frankfurt am Main 2015: System repräsentativer Verkehrserhebung SrV 2013. Frankfurt a.M.
 4 VGF 2015: Geschäftsbericht 2014, S. 41
 5 traffiQ 2015: Geschäftsergebnis 2014 - Lagebericht und Jahresabschluss, S. 6
 6 VGF 2015: Geschäftsbericht 2014, S. 8
 7 VGF 2015: Geschäftsbericht 2014, S. 21
 8 Antwort auf Frage 2504 der 45. Fragestunde der 46. Sitzung der Frankfurter STVV am 19.11.2015
 9 Antwort auf Frage 2503 der 45. Fragestunde der 46. Sitzung der Frankfurter STVV am 19.11.2015
10 VGF 2015: Geschäftsbericht 2014, S. 22-23
11 Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen: Statistisches Jahrbuch 2014, S. 104
12 Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen 2015: statistik.aktuell Ausgabe 14/2015
13 Bundesagentur für Arbeit 2015: Zahlen, Daten, Fakten. Strukturdaten und -indikatoren Frankfurt a.M.
14 Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen 2014: statistik.aktuell Ausgabe 26/2014
15 Regionalverband FrankfurtRheinMain 2014: Mobilitätskennziffern für die Region FrankfurtRheinMain
16 IHK Frankfurt am Main 2014: Mobile Arbeitnehmer. Pendlerverflechtungen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main
17 Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen: Statistisches Jahrbuch 2014, S. 116
18 Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen: Statistisches Jahrbuch 2014, S. 110
19 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) 2015: Umweltbewußtsein in Deutschland 2014

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