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Polizeigewalt, hier: Westberlin

in Westberlin
  • Polizeigewalt, hier: Westberlin
    Der Mord an Benno Ohnesorg durch die Polizei in Westberlin
  • am Freitag, 02. Juni 1967,
  • in der Krumme Straße 67, Westberlin (Charlottenburg)

Inhalt:
Studium
Todesumstände:
   Vorlauf
   Vor der Deutschen Oper
   Tödlicher Schuss
   Tod im Krankenwagen
   Obduktion
   Überführung und Beerdigung
Politische und juristische Folgen

Benno Ohnesorg
deutscher Student, der auf einer Demonstration in Westberlin von einem Polizisten erschossen wurde

  •  
    • Benno Paul Johann Ohnesorg, * 15. Oktober 1940 in Hannover, † 02. Juni 1967 in Westberlin, war ein Student und Teilnehmer an der Demonstration am 02. Juni 1967 in Westberlin gegen den Staatsbesuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi. Dabei erschoss der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras den 26-Jährigen mit einem Pistolenschuss aus kurzer Distanz in den Hinterkopf.
    • Sein gewaltsamer Tod machte Ohnesorg in ganz Deutschland bekannt und trug wesentlich dazu bei, dass sich die westdeutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre bundesweit ausbreitete und radikalisierte. Sein Todestag gilt als Einschnitt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte mit weitreichenden gesellschaftspolitischen Folgen.
    • Kurras wurde mit Hilfe von Falschaussagen und erheblichen polizeilichen Manipulationen in zwei Gerichtsverfahren freigesprochen. 2009 wurde nochmals gegen ihn ermittelt. Erwiesen ist seit 2011, dass er auf Ohnesorg ohne Auftrag, unbedrängt und wahrscheinlich gezielt geschossen hatte. Eine neue Anklage für dieses Verbrechen blieb aus.
  • Studium:
    Ohnesorg war Pazifist und Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde. Entgegen vielen Darstellungen war er politisch engagiert: Er nahm 1964 am Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin teil und erklärte seinem Freund Alex Schubert Theaterstücke von Bertolt Brecht, war jedoch kein Marxist. Er war Mitglied im Diskussionsclub Argument, unterschrieb eine Petition der Kampagne für Abrüstung der Ostermarsch-Bewegung und ging zu einer Demonstration gegen die Bildungspolitik des Westberliner Senats. Er las die Zeitschrift Berliner Extra-Dienst. Im Frühjahr 1967 äußerte er sich öfter empört über die zunehmende Gewalt der Westberliner Polizei. Besonders interessierte ihn Unrecht in "Dritte-Welt"-Staaten.
    Inhalt
  • Todesumstände:
    • Vorlauf:
      Wie viele damalige Studenten hatte sich Benno Ohnesorg über die damaligen Zustände im Iran informiert. Am 01. Juni 1967 hörte er mit bis zu 4.000 Studenten in der FU Berlin einen Vortrag des iranischen Regimekritikers Bahman Nirumand, dessen Buch "Persien, Modell eines Entwicklungslandes" er gelesen hatte. Abends besuchte Ohnesorg den Jugendclub "Ça Ira" in Westberlin (Wilmersdorf) und diskutierte mit anderen Clubgästen über das Verhalten der Westberliner Polizei bei Demonstrationen. Er hielt Berichte über deren Brutalität für überzogen und erhielt zur Antwort, er könne sich ja am Folgetag bei der geplanten Demonstration gegen den Schah selbst ein Bild davon machen. Am Vormittag des 02. Juni 1967 hörte er im Rundfunksender RIAS, dass Schahanhänger am Rathaus Schöneberg auf friedliche Demonstranten einschlugen, die anwesende Polizei erst zuschaute und dann mitprügelte. Daraufhin beschlossen er und seine Frau Christa, abends vor der Deutschen Oper, Bismarckstraße, Westberlin (Charlottenburg), gegen den Schah mit zu demonstrieren. Dazu fertigten sie ein Spruchband mit der Aufschrift "Autonomie für die Teheraner Universität" an.
      Inhalt
    • Vor der Deutschen Oper:
      • Vor dem Opernhaus hatten sich bis 19:00 Uhr etwa 2.000 Demonstranten versammelt. Bis zum Eintreffen des Schahs um 20:00 Uhr griff die Polizei immer wieder Einzelne aus der Menge und misshandelte sie. Nachdem das Schahehepaar die Oper betreten hatte, begannen etwa 4.000 Polizisten die Demonstration ohne Vorwarnung mit Knüppeln, Wasserwerfern und Reizgas gewaltsam aufzulösen. Benno und Christa Ohnesorg standen mit ihrem Bekannten Dietz Bering auf dem südlichen Gehweg und wurden mit der Menge zur Kreuzung Krumme Straße/Bismarckstraße gedrängt.
      • An der Einmündung der Krumme Straße bildete die Polizei ein enges Spalier mit Wasserwerfern. Polizisten in Zivilkleidung, darunter Karl-Heinz Kurras, verfolgten fliehende Demonstranten, um sie weiter zu verprügeln und vermeintliche Rädelsführer festzunehmen (intern "Fuchsjagd" genannt). Ohnesorg sah, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann in einen Innenhof des Gebäudes Krumme Straße Nr. 66/67 (heute: Schillerstraße 29) zerrten. Um zu beobachten, was dort mit ihm geschah, folgte er ihnen und trennte sich von seiner schwangeren Frau, die sich auf den Heimweg machte. Er trug an diesem Abend ein auffälliges hellrotes Hemd und Sandalen, woran Zeugen ihn später identifizierten.
        Inhalt
    • Tödlicher Schuss:
      • Greiftrupps bewaffneter ziviler und uniformierter Polizisten schlugen und traten im Hinterhof mehrere Demonstranten (Hartmut R., Götz F.). Andere versuchten, die Schläger verbal davon abzuhalten, bis weitere Polizisten dazukamen und sie hinaustrieben. Nach Fotografien von Uwe Dannenbaum "B.Z." und Bernard Larsson "Der Stern" stand Ohnesorg zunächst an einer Teppichstange im Hof und beobachtete mit anderen die Szene. Er bewegte sich dann zum Hofausgang, wurde zwischen parkenden PKWs von mindestens drei Polizisten (Thomas H., Ulrich K., Klaus N.) gestellt, eingekreist, festgehalten und ebenfalls verprügelt. Dies bezeugten sowohl andere Polizisten (Helmut Starke, Horst Geier, Hans Kaiser) als auch Studenten. Alle Zeugenaussagen schlossen die von Kurras später behauptete Notwehrsituation aus.
      • Etwa um 20:30 Uhr traf ein Schuss Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf. Mehrere Zeugen sahen und hörten Details des Vorgangs: Ohnesorgs Fluchtversuch, die ihn schlagenden Polizisten, seine gehobenen Hände (als Ergebungs- oder Beschwichtungsgeste gedeutet), einen Ruf "Bitte nicht schießen" (wahrscheinlich von Ohnesorg selbst, als er die Waffe sah), Mündungsfeuer in Kopfhöhe, Ohnesorgs Sturz danach. Auf einem erst nach 2009 digital aufgehellten Foto stützt sich Kurras mit der linken Hand auf der Schulter eines der drei Polizisten ab, wahrscheinlich, um mit der rechten Hand auf Ohnesorg zu zielen, dessen nackte Füße in Sandalen am Boden erkennbar sind. Der Einsatzleiter Helmut Starke steht direkt hinter Kurras und schaut zu; er behauptete später, den Hof erst nach dem Schuss betreten zu haben.
      • Mehrere Zeugen hörten den Dialog des Polizisten Horst Geier mit Kurras: "Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen?" - "Die ist mir losgegangen." Eine Tonbandaufnahme des Süddeutschen Rundfunks dokumentiert ein Schussgeräusch, gleich darauf einsetzende "Mörder, Mörder!"-Rufe und den Befehl einer männlichen Person: "Kurras, gleich nach hinten! Los! Schnell weg!" Die Aufnahme wurde im Kurras-Prozess nicht als Beweismittel zugelassen und verschwand spurlos.
      • Die Überprüfung des damaligen Foto- und Filmmaterials durch die Bundesanwaltschaft (2009..2012) erhärtete den Verdacht, dass Kurras unbedrängt und gezielt auf Ohnesorg geschossen, seine Kollegen das aus nächster Nähe beobachtet und dann vertuscht hatten. Historiker, Investigativjournalisten und Autoren neuer Dokumentationen sprechen seitdem von einem Polizistenmord.
        Inhalt
    • Tod im Krankenwagen:
      • Die Studentin Erika S. hatte den Knall gehört, aber nicht als Pistolenschuss gedeutet. Sie erreichte, dass die prügelnden Polizisten von dem Schwerverletzten abließen. Friederike Dollinger und eine weitere Frau drehten Ohnesorg auf den Rücken und stützten seinen blutenden Kopf, wie ein berühmt gewordenes Foto zeigt.
      • Anwesende Polizisten weigerten sich zunächst, einen Krankenwagen zu holen. Bis zu dessen Eintreffen hinderten sie einen herbeigeeilten Medizinalassistenten daran, dem Verletzten Erste Hilfe zu leisten, obwohl der Mann sich auswies und seine Arzttasche vorzeigte. Nach seinen Angaben endete der zehnminütige Wortwechsel damit, dass die Polizei ihn als Kommunisten verdächtigte, als er auf seine Arzttätigkeit in Berlin hinwies.
      • Gegen 20:50 Uhr traf der Krankenwagen ein. Die Fahrt ins Krankenhaus dauerte geschätzte 45 Minuten, da das zunächst angefahrene Albrecht-Achilles-Krankenhaus und die Westendklinik angaben, keine Betten für Verletzte mehr frei zu haben. Die Begleiter, ein Sanitäter und eine selbst verletzte Krankenschwester, versuchten während der Fahrt, Ohnesorgs Leben zu retten. Nach Aussage der Schwester starb er in ihrem Beisein auf dem Transport. Gegen 21:35 Uhr erreichte der Wagen das Krankenhaus Moabit. Ein Arzt untersuchte Ohnesorg kurz und fragte die Sanitäter, weshalb sie einen Toten gebracht hätten. Laut Krankenhausakte trat Ohnesorgs Tod jedoch erst um 22:55 Uhr ein; als Todesursache wurde "Schädelbasisbruch" angegeben.
      • Nach seit 2009 bekanntgewordenen Zeugenaussagen beteiligter Mediziner und Polizisten wurde Ohnesorg zunächst in einen Abstellraum der Klinik geschoben. Polizeikommissar Erich T. aus Kurras' Abteilung besichtigte den Leichnam, sah das Einschussloch und erhielt dazu die Auskunft eines Arztes: "Das war wohl tödlich." Mehrere Polizeibeamte in Zivil waren anwesend und sprachen mit beteiligten Ärzten. Später wurde am leblosen Körper Ohnesorgs eine Wiederbelebung versucht. Sein Kopf wurde rasiert und geröntgt, so dass bereits das Projektil darin hätte entdeckt werden müssen. Der damals beteiligte junge persische Assistenzarzt Homayoun T., dessen Vater der Wirtschaftsminister des Schahs war und dessen Familie mit dem Schah befreundet war, trug auf Anweisung seiner Vorgesetzten in Ohnesorgs Totenschein den falschen Todeszeitpunkt 22:55 Uhr ein, wahrscheinlich, um die Operation am Schädel des Toten als Rettungsversuch zu tarnen. Dazu dokumentierte er auch eine falsche Todesursache: "Schädelverletzung durch stumpfe Gewalteinwirkung". Kurras durfte den Leichnam Ohnesorgs noch in der Nacht zum 03. Juni 1967 besichtigen. Ein weiterer Polizist behauptete dabei, der Tote sei "zu seinen Lebzeiten" einer der "größten Krakeeler" am Vorabend gewesen.
        Inhalt
    • Obduktion:
      • Der Westberliner Innensenator Wolfgang Büsch ordnete an, die zunächst für den 05. Juni 1967 angesetzte Obduktion schon am Vormittag des 03. Juni 1967 durchzuführen. Der obduzierende Arzt fand Prellungen und Hämatome am ganzen Leichnam Ohnesorgs. Als Todesursache stellte er einen "Gehirnsteckschuss" fest. Ein sechs mal vier Zentimeter großes Knochenstück der Schädeldecke mit dem Einschussloch war herausgesägt und die Kopfhaut darüber zugenäht worden. Der anwesende Rechtsanwalt Horst Mahler, damals SDS-Mitglied, deutete diesen Befund als Versuche, die Todesursache zu vertuschen. Uwe Soukup fasste die offenen Fragen 2007 dazu zusammen:
        "Warum wurde an einem Toten herumoperiert? Welchen medizinischen Sinn soll es haben, den Teil des Schädelknochens herauszusägen, in dem sich die Einschussstelle befindet? […] Wurde der Todeszeitpunkt auf 22:55 festgelegt, um die merkwürdige Behandlung des bereits Verstorbenen zu legitimieren, indem man sie als Rettungsversuch ausgibt? […] Obwohl die Einschussstelle freigelegt und daran herumoperiert worden war, will tatsächlich niemand die Schussverletzung bemerkt haben?"
      • Eine sofort angeordnete polizeiliche Suche nach dem Knochenstück blieb ergebnislos. Beteiligte Ärzte und Schwestern verwahrten sich gegen Manipulationsvorwürfe. Im späteren Freispruch für Kurras wurde bestätigt, Ohnesorg sei sehr wahrscheinlich noch nach dem Schuss verprügelt worden. Der behandelnde Arzt habe Einschuss, Schusskanal und Projektil im Gehirn nicht erkannt.
        Inhalt
    • Überführung und Beerdigung;
      • Am 08. Juni 1967 fand zunächst eine Trauerfeier im HenryFord-Bau der FU Berlin für Ohnesorg statt. Dann wurde sein Leichnam nach Hannover überführt. Ein vom Westberliner Senat am 03. Juni 1967 erlassenes Demonstrationsverbot wurde kurzfristig aufgehoben. Etwa 15.000 Menschen versammelten sich am Grenzübergang Dreilinden, um Ohnesorg zu verabschieden. Der Westberliner Theologe Helmut Gollwitzer erinnerte in seiner Ansprache an die Todesopfer des Vietnamkriegs und Nahostkonflikts im selben Monat und fuhr fort:
        "Benno Ohnesorgs Leidenschaft galt dem Frieden… Als er sich dort von seiner Frau an der Straßenecke in der Schillerstraße trennte und hinüber zur Krummen Straße ging, […] war es vielleicht sein Impuls, einem Misshandelten zu helfen, der ihn sein Leben kostete […] Nehmt diesen ersten unkontrollierten Konvoi seit Kriegsende als Zeichen der Verheißung für ein künftiges friedliches Deutschland […], in dem man wieder, ungehindert durch Autobahngebühren, Stacheldrähte und Mauern, frei hin und herfahren kann."
      • Der Senat wollte Ohnesorgs Leichnam per Flugzeug überführen lassen. Dagegen hatte Christa Ohnesorg eine Überführung auf dem Landweg durchgesetzt. Hunderte Fahrzeuge begleiteten Ohnesorgs Sarg auf der Transitstrecke durch die DDR, die für den übrigen Verkehr gesperrt wurde. Die DDR-Behörden verzichteten an beiden Grenzübergängen auf die üblichen Kontrollen und Transitgebühren. FDJ-Gruppen und Betriebsdelegationen grüßten den Konvoi mit Propagandaplakaten. Die Sperrung der Transitstrecke verärgerte viele westdeutsche LKW-Fahrer. Die Braunschweiger Polizei schützte den Konvoi jedoch vor deren Angriffen.
      • Am 09. Juni 1967 fand ein Schweigemarsch von etwa 7.000 Studenten durch die Innenstadt Hannovers statt. Ohnesorg wurde auf dem Stadtteilfriedhof Bothfeld (Abteilung 2A, Nummer 176) beerdigt. An fast allen Hochschulen der Bundesrepublik demonstrierten zwischen dem 03. und 09. Juni 1967 Studenten gegen Polizeigewalt, insgesamt über 100.000. Im November 1967 gebar Christa Ohnesorg den gemeinsamen Sohn Lukas, dessen Patenschaft Helmut Gollwitzer übernahm. Sie befreundete sich mit Gretchen Dutschke-Klotz, der Ehefrau des Studentenführers Rudi Dutschke. Nach ihrem Tod im Jahr 2000 wurde sie neben ihrem Mann beerdigt.
        Inhalt
  • Politische und juristische Folgen;
    Ohnesorgs Erschießung löste wochenlange Massendemonstrationen in ganz Westdeutschland aus und führte in den Folgemonaten zu den Rücktritten des Polizeipräsidenten, des Innensenators und des Regierenden Bürgermeisters von Westberlin Heinrich Albertz. Dieser hatte zunächst den Studenten die Alleinschuld an Ohnesorgs Tod gegeben und musste wegen der ermittelten Tatsachen davon abrücken. Der Prozess gegen Kurras endete mit dessen Freispruch, wobei entscheidende Beweisstücke und Zeugenaussagen unberücksichtigt blieben. Obwohl das Revisionsverfahren die Falschaussagen von Kurras erwies, blieb er straffrei. Nachermittlungen seit 2009 erwiesen Vertuschungsversuche der Todesursache, Absprachen zwischen Polizei und Verteidigern von Kurras sowie Falschaussagen seiner Kollegen und Vorgesetzten im damaligen Prozess gegen ihn. Diese Vergehen sind bis heute nicht aufgearbeitet.
    Inhalt
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